Rechtsvergleichung

143 III 558 Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 LugÜ; Auslegung und Ergänzung einer Gerichtsstandsvereinbarung mit teilweise unzulässigem Inhalt

03.07.2018 09:08

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Anders als die übrigen Zuständigkeitsbestimmungen des LugÜ (vorbehältlich Art. 22 LugÜ) ist Art. 23 LugÜ nach dem ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 4 Abs. 1 LugÜ sowie seinem klaren Wortlaut auch bei Wohnsitz des Beklagten in einem Nichtvertragsstaat anwendbar und stellt insofern eigene Anwendungsvoraussetzungen auf. Die Untauglichkeit des Beklagtenwohnsitzes als Kriterium für die Anwendung des LugÜ bei Zuständigkeitsvereinbarungen liegt auf der Hand, käme es dann doch auf die - zufällige - Parteirolle an. Es kann aber nicht angehen, die Wirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung nach unterschiedlichen Rechtsordnungen zu beurteilen, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte in einem Vertragsstaat wohnt. Mit Bezug auf den Wohnsitz ist bei Art. 23 Abs. 1 LugÜ daher nur, aber immerhin, erforderlich, dass eine der Parteien - losgelöst von ihrer Parteirolle - Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat (E. 3.3).

Die Frage, ob der Vertrag ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre, ist grundsätzlich nach dem Vertrauensprinzip zu beantworten, indem der mutmassliche bzw. hypothetische Parteiwille ermittelt wird, sofern nicht ein diesbezüglicher tatsächlicher Parteiwille nachgewiesen werden kann. Die Vorinstanz nahm in ihrer Begründung u.a. Bezug auf die Rechtsprechung zu Schiedsgerichtsvereinbarungen. Soweit es um die Frage geht, ob der grundsätzliche Wille bestand, sich einer solchen Vereinbarung zu unterwerfen, trägt eine solche Analogie aber nur beschränkt. Wegen dem Wesen und Zweck einer Schiedsvereinbarung, der eine grosse Tragweite zukommt, da damit im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren regelmässig höhere Kosten anfallen und Rechtsmittel weitgehend beschränkt sind, ist diesbezüglich im Zweifelsfall eine restriktive Auslegung geboten. Die Prorogation hat von ihrem Zweck her - wobei im Einzelfall unterschieden werden kann) - nicht diese Bedeutung. Im Übrigen liegt eine (wenigstens teilweise) Analogie zur Praxis betreffend sog. pathologische - d.h. unvollständige, unklare oder widersprüchliche - Schiedsvereinbarungen nahe. Auch bezüglich dem inhaltlich mit Art. 23 LugÜ übereinstimmenden Art. 23 der (unterdessen ersetzten) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) wird eine vergleichbare Auffassung vertreten. Werde etwa eine Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit mit einer solchen betreffend die örtliche Zuständigkeit kombiniert und erweise sich letztere aus irgendeinem Grund als unwirksam, so führe dies nicht auch zur Unwirksamkeit der Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit. Denn die Parteien hätten - wenigstens im Regelfall - gewollt, dass die Gerichte dieses Staates entscheiden. Eine Ausnahme sei allenfalls dann zu machen, wenn feststehe, dass die Parteien die internationale Zuständigkeit eines bestimmten Staates im Hinblick auf ein ganz bestimmtes örtlich zuständiges Gerichte vereinbart hätten. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür treffe dann die Partei, die Unzuständigkeit des betreffenden Staates behaupte. Es sei vom Grundsatz in favorem validitatis auszugehen (E. 4.).

 

Schweizer Schlichtungsbehörde als "Gericht" im Sinne des Lugano-II-Übereinkommens?

09.06.2018 02:30

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Konkret ging es in dem Rechtsstreit um folgende Frage: Wurde nach dem Lugano II-Übereinkommen, für die Zwecke der Rechtshängigkeit ein „Gericht“ angerufen, wenn eine Klageschrift in einer Unterhaltssache vor einer Schlichtungsbehörde eingereicht wird, was durch nationales Verfahrensrecht zwingend vorgeschrieben ist? 

 

Der EuGH entschied:

Die Art. 27 und 30 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss des Rates 2009/430/EG vom 27. November 2008 genehmigt wurde, sind dahin auszulegen, dass bei Rechtshängigkeit ein „Gericht“ zu dem Zeitpunkt als angerufen gilt, zu dem ein obligatorisches Schlichtungsverfahren bei einer Schlichtungsbehörde nach Schweizer Recht eingeleitet worden ist.

 

 

 

Negative Feststellungsklage; Änderung der Rechtsprechung BGE 136 III 523

06.06.2018 04:41

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Konkret ging es um die Frage, ob im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens ein besonderes Feststellungsinteresse erforderlich sei.

Das Bundesgericht ging zunächst auf die Rechtsnatur des Feststellungsinteresses ein (E. 4) und kam zum Schluss, dass jedenfalls im internationalen Verhältnis das Interesse einer Partei, bei einem bevorstehenden Gerichtsverfahren einen ihr genehmen Gerichtsstand zu sichern, als genügendes Feststellungsinteresse zu qualifizieren ist (E. 5).